Ablauf der Begutachtung

Kriterien und Verfahren der familienpsychologischen Begutachtung

Rahmenbedingungen der Begutachtung

Der Sachverständige bekommt die Akte des Familiengerichts zusammen mit dem Beweisbeschluss zugesandt. Danach informiert der Sachverständige die Elternteile, das Jugendamt, den Verfahrensbeistand und weitere Beteiligte der Kindschaftssache über die vorgesehene Begutachtung und die Zeitdauer. In unserer Praxis beträgt die Bearbeitungsdauer für die Begutachtung ausführlicher Fragestellungen etwa sechs Monate ab Eingang der Gerichtsakte. In bestimmten Fällen werden auch für eine gutachterliche Stellungnahme kurzfristig Termine zur Exploration eingesetzt.

Danach erhalten die Elternteile die Information über anstehende Hausbesuche und Befragungen in der Praxis des Sachverständigen in Kassel. Zusätzlich werden die Elternteile um Übermittlung ihrer Adressdaten gebeten, damit sie vom Sekretariat der Praxis erreicht werden können. Die Elternteile werden darauf hingewiesen, dass sie nicht zur Teilnahme an der Begutachtung verpflichtet sind und auch die anderen Beteiligten werden über ihr Aussageverweigerungsrecht informiert. Zusätzlich erfolgt ein Hinweis zur Verarbeitung der Daten.

Der Sachverständige Ritter führt eine umfangreiche und intensive Exploration durch. Dazu gehören mehrere Befragungen der Elternteile, die Befragung des Kindes, die Durchführung testpsychologischer Verfahren und die Einholung fachlicher Berichte (Jugendamt, Familienhilfe, Schule, Kindertagesstätte, Ärzte und Therapeuten). Häufig werden auch Interaktionsbeobachtung durchgeführt, bei denen die Elternteile und das Kind im gemeinsamen Spiel gesehen werden.

Der Sachverständige ist gehalten, objektiv und neutral zu begutachten. Die Ergebnisse der Begutachtung werden dem Familiengericht in einem schriftlichen Sachverständigengutachten übermittelt, das am Schluss der Begutachtung vorgelegt wird. Bei einer akuten Kindeswohlgefährdung oder besonderen Fragestellungen kann das Familiengericht auch ein Zwischengutachten einholen, das als gutachterliche Stellungnahme gestaltet ist. Dabei werden vorläufige Einschätzungen und Empfehlungen übermittelt.

Die familienpsychologischen Sachverständigen sind in der Regel hoch ausgelastet. Daher ist es wichtig, dass Elternteile und Beteiligte die ihnen vorgegebenen Untersuchungstermine zuverlässig einhalten. Wunschtermine sind in der familienpsychologischen Begutachtung nicht möglich und bei einer Nichteinhaltung von Terminen verzögert sich die gesamte Begutachtung erheblich.

Die Begutachtung des Kindes durch den Sachverständigen kann auch dann realisiert werden, falls die Elternteile sich verweigern. Es werden in diesem Fall Maßnahmen des Familiengerichts zur Sicherstellung der Begutachtung eingeleitet.


Fragestellungen für die familienpsychologische Begutachtung

Bei der familienpsychologischen Begutachtung richtet sich die Aufgabenstellung des Sachverständigen nach dem Beschluss des Familiengerichts. In diesem Beweisbeschluss werden die für das Familiengericht relevanten Fragen formuliert, beispielsweise welcher Lebensmittelpunkt des Kindes dem Kindeswohl am besten entspricht.

Ein familienpsychologisches Gutachten wird in Auftrag gegeben, falls nach einer Trennung der Elternteile ein Streit über den Lebensmittelpunkt der Kinder oder die Ausgestaltung des Umgangsrechts entsteht. Häufig haben Elternteile sich widersprechende Anträge gestellt und das Familiengericht schaltet eine Fachkraft ein, den psychologischen Sachverständigen, um über den Sachverhalt kompetent entscheiden zu können. Das psychologische Gutachten wird eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die danach erfolgende Entscheidung des Familiengerichts.

Die familienpsychologische Begutachtung wird auch in Kindschaftssachen mit Kindeswohlgefährdung eingeleitet. In diesen Fällen wird geprüft, ob zum Schutz des Kindes ein Eingriff in das Recht der elterlichen Sorge erforderlich ist, um das Kind vor Vernachlässigung, Missbrauch oder Misshandlung zu schützen. Diese Begutachtung kann von Amts wegen angeordnet werden, auch ohne Zustimmung der betroffenen Elternteile. Es handelt sich um Verfahren nach § 1666 BGB. Häufig liegen dem Familiengericht bereits Anträge oder Berichte des Jugendamtes vor, die auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung hinweisen.

Dipl.-Psych. Ritter: Ablauf der familienpsychologischen  Begutachtung
Gutachten für das Familiengericht

Begutachtung zum Sorgerecht

Bei diesen Kindschaftssachen geht es darum, dass nach Trennung oder Scheidung der Elternteile ein Konflikt zwischen den Elternteilen darüber entstanden ist, wer das Sorgerecht oder Teile des Sorgerechts für die gemeinsamen minderjährigen Kinder ausübt. Häufig bezieht sich die Fragestellung darauf, wo das Kind den Lebensmittelpunkt hat. Das Gericht beauftragt einen Sachverständigen mit der Fragestellung, welche Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Kindeswohl am besten entspricht.

Auf Grundlage des Sachverständigengutachtens kann das Familiengericht über den Lebensmittelpunkt der Kinder, das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder das gesamte Sorgerecht entscheiden.

Auch weitere Einzelbereiche der elterlichen Sorge können zum Gegenstand einer Begutachtung werden, beispielsweise die Durchführung medizinischer oder psychotherapeutischer Behandlungen oder die Auswahl einer weiterführenden Schule. Können sich die Elternteile nicht einigen, dann entscheidet das Familiengericht zum Wohle des Kindes auf der Grundlage des psychologischen Gutachtens.

Familienpsychologischen Begutachtung zur Sorgerechtsregelung durch Dipl.-Psych. Klaus Ritter, Sachverständiger in Kassel
Das Trennungskind

Umgangsrecht

Das Familiengericht fragt im Beweisbeschluss, wie der Umgang eines minderjährigen Kindes zu dem Elternteil geregelt werden soll, bei dem es nicht schwerpunktmäßig lebt. In der Vorgeschichte haben sich die Elternteile getrennt und es besteht Uneinigkeit darüber, wie häufig und in welcher Form das Kind den anderen Elternteil sieht. Häufig ist beantragt worden, das Umgangsrecht des anderen Elternteils gänzlich auszuschließen, zeitlich deutlich zu begrenzen oder nur in begleiteter Form durchzuführen.

Es geht darum, ob Umgang stattfinden kann oder dieser nur unter Auflagen oder Einschränkungen möglich ist. Das Familiengericht möchte eine psychologische Einschätzung, in welcher Form und in welchem Umfang der Umgang mit dem anderen Elternteil für das Kind kindeswohldienlich ist.

Eine weitere Fragestellung ist die Überprüfung, ob ein Wechselmodell dem Kindeswohl dient. Bei dem Wechselmodell ist vorgesehen, dass Kinder gleichberechtigt bei beiden Elternteilen wohnen oder das Umgangsrecht über den üblichen Umfang hinaus ausgedehnt wird.


Erziehungsfähigkeit und Kindeswohl

Grundlage dieser Begutachtung ist § 1666 BGB. Es sind Zweifel entstanden, ob die Erziehung der minderjährigen Kinder dem Kindeswohl entspricht, oder ob eine Misshandlung, ein Missbrauch oder eine Vernachlässigung eingetreten ist. Das Gericht möchte vom Sachverständigen wissen, in welchem Umfang eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, wo die Ursachen des Fehlverhaltens der Elternteile liegen und welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Kindeswohlgefährdung zu verhindern oder zu begrenzen.

Das Gutachten beinhaltet die Beurteilung der Erziehungsfähigkeit von Eltern. Es wird außerdem gefragt, ob eine Notwendigkeit besteht, in die elterliche Sorge einzugreifen. Dies kann beinhalten, dass Elternteilen bestimmte Auflagen für die Erziehung gemacht werden oder es zu einer Fremdunterbringung des Kindes mit einem Entzug von Teilen der elterlichen Sorge kommt.

Begutachtung zum Kindeswohl, Sachverständiger Dipl.-Psych. Klaus Ritter
Begutachtung zur Kindeswohlgefährdung

Hilfen für die Erziehung


Das Familiengericht fragt den Sachverständigen, ob und in welchem Umfang ambulante Maßnahmen der Jugendhilfe oder anderer fachlicher Bereiche notwendig sind, um dauerhaft eine Erziehung des Kindes zu gewährleisten, die dem Kindeswohl entspricht. Diese Maßnahmen werden eingesetzt, um in hochstrittigen Verfahren eine Verbesserung der Kommunikation der Elternteile zu erzielen und damit Perspektiven für die einvernehmliche Ausübung des Sorgerechts oder des Umgangs zu ermöglichen. In Verfahren zur Kindeswohlgefährdung haben ambulante, teilstationäre und stationäre Maßnahmen Vorrang vor einem Entzug der elterlichen Sorge und einer Fremdunterbringung des Kindes. 


Leitlinie der Begutachtung: Kindeswohl

Wissenschaftliche Grundlagen

In der familienpsychologischen Begutachtung werden wissenschaftliche Erkenntnisse der Bindungstheorie, der Entwicklungspsychologie, der psychodynamischen Psychotherapie und der Familienpsychologie eingesetzt. Hieraus entwickeln sich Richtlinien, welche Kriterien für eine dem Kindeswohl entsprechende Entwicklung des Kindes förderlich sind und welche Aspekte eine Belastung oder Gefährdung des Kindes darstellen. Unsere Begutachtung berücksichtigt wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen für die Ausgestaltung der Exploration.

Bindung des Kindes zu den Eltern, Geschwistern und Bezugspersonen

Wie sicher oder unsicher ist die Bindung des Kindes zu den wichtigen Bezugspersonen? Wodurch sind unsichere Bindungsmuster entstanden und welche Konsequenzen haben Sie für das Kind?

Wille des Kindes

Gibt es einen gefestigten Kindeswillen? Welche Konstanz und Intensität hat der Kindeswille? Wodurch ist er entstanden? Gibt es Manipulationen durch Elternteile? Entspricht der Kindeswille dem Kindeswohl?

Erziehungseignung der Eltern

Können die Elternteile eine Erziehung leisten, die den Grundbedürfnissen des Kindes Rechnung trägt? Sind Elternteile in ihrer Erziehungskompetenz eingeschränkt? Gibt es eventuell Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit durch psychische Störungen, psychosoziale Umstände, somatische Erkrankungen, Abhängigkeitserkrankungen oder dissoziale Entwicklungen? Sind Elternteile einsichtig bezüglich ihrer Defizite? Wie ist die Prognose bei den Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit?

Förderungskompetenz und Förderungsbereitschaft der Eltern

Welche fachlichen Hilfen sind notwendig, um relevante Gefährdung des Kindeswohls und Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Elternteile zu bessern? Sind Elternteile in der Lage, die Notwendigkeit von Hilfen zu erkennen und fachliche Hilfen auch anzunehmen? Stehen im pädagogischen und psychologischen Bereich adäquate Hilfsangebote zur Verfügung? Was kann aus dem bisherigen Verlauf der Hilfeplanung mit dem Jugendamt und anderen Fachkräften abgeleitet werden? Besteht eine Grundmotivation der Elternteile, über längere Zeit und systematisch fachliche Hilfen in Anspruch zu nehmen? Besteht eine Grundkompetenz, fachliche Hilfen auch dauerhaft zu verinnerlichen und in die eigene Persönlichkeitsstruktur zu integrieren?

Bindungstoleranz und Konfliktfähigkeit der Elternteile

Welche Beziehungsmuster haben sich im Familiensystem entwickelt? Sind diese Bindungsstrukturen dem Kindeswohl abträglich oder förderlich? Wie tiefgehend sind dysfunktionale oder pathologische Bindungen? Welche Schäden in der kindlichen Entwicklung sind durch diese Bindungsstrukturen ausgelöst worden?

Wie ist der Konflikt bei getrennten Elternteilen einzuschätzen? Welche Fähigkeit gibt es, die Rolle des jeweils anderen Elternteils anzuerkennen und eine gemeinsame Erziehung auszuüben? Gibt es Abwertungen und Feindbildprojektion? Wird der Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil manipuliert oder beeinträchtigt? Wie lässt sich eine Einschränkung der Bindungstoleranz beheben, welche fachlichen Hilfen sind angezeigt? Welche Ressourcen haben die Elternteile, um Konflikte zukünftig mit fachlichen Hilfen zu vermeiden? Welche Ansatzpunkte bietet eine Mediation?

Psychische Ressourcen: Fähigkeit der Elternteile zur Empathie und Introspektion

Wie ist die Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur der Elternteile einzuschätzen? Gibt es unbewältigte Traumata, schwere emotionale Mangelzustände oder andere Defizite in der Persönlichkeitsorganisation? Wie ist die Fähigkeit zur Frustrationstoleranz entwickelt? Wie ist die Fähigkeit entwickelt, sich empathisch in die Bedürfnisse der Kinder hineinzuversetzen und eigene Bedürfnisse dabei zurückzustellen? Wie ist die Fähigkeit entwickelt, in die eigene seelische Struktur zu schauen, dort Konflikte und Ambivalenzen wahrzunehmen und diese mit fachlicher Hilfe bearbeiten zu können? Gibt es grundlegende Störungen bei der Fähigkeit zur Empathie und Introspektion?


Vorgehen des Sachverständigen

Der Gutachter hat den Auftrag, sich neutral und objektiv ein umfassendes Bild über die Verhältnisse der betroffenen Kinder und Eltern zu machen. Er soll aus psychologischer Sicht beurteilen und dem Familiengericht empfehlen, welche Regelung dem Kindeswohl am besten dient.

Der Sachverständige setzt dazu nach den Grundsätzen und Leitlinien der Begutachtung Termine in seiner Praxis und in den Wohnungen der Elternteile an, die dem jeweiligen Einzelfall gerecht werden. Zusätzlich können Termine im Jugendamt, in Pflegestellen oder in Heimeinrichtung durchgeführt werden.

  • Befragung: Befragung der Elternteile zur Vorgeschichte und zu ihrer Beziehung zum Kind.
    Beide Eltern werden in der Regel getrennt befragt. Außerdem können weitere familiäre Bezugspersonen (neue Lebenspartner der Elternteile, Geschwister und Großeltern des Kindes) ihre Sicht schildern. Bei den Elternteilen können psychologische Tests zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Erziehungsfähigkeit durchgeführt werden, außerdem wird die biografische Anamnese erhoben.
  • Spiel: Das betroffene Kind soll sich über das Spiel und eine Befragung öffnen. Dafür steht in der Praxis ein spezielles Spielzimmer zur Verfügung.
  • Gemeinsame Spielkontakte: Der Sachverständige beobachtet das Zusammentreffen und die Interaktion des Kindes mit wichtigen Bezugspersonen (Elternteile und andere Erziehungspersonen).
  • Psychologische Tests: Mit dem Kind werden verschiedene kinderpsychologische Testverfahren durchgeführt. Außerdem können bei Elternteilen psychologische Tests eingesetzt werden, um die Bindungsfähigkeit und die Erziehungsfähigkeit zu überprüfen.
  • Beteiligung von Fachkräften: Anforderung von fachlichen Berichten oder Befragung von beteiligten Fachkräften und Einrichtungen, beispielsweise Jugendamt, Lehrer, Kinderärzte, Erzieher, Psychotherapeuten oder Beratungsstellen.
  • Hausbesuche: Besichtigung der Wohnverhältnisse und des sozialen Umfeldes des Kindes.
  • Besuche in Institutionen: bei einer Fremdunterbringung des Kindes erfolgen Besuche in der Bereitschaftspflegestelle, der Pflegestelle, der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder in der Heimeinrichtung

Zeitrahmen der Begutachtung

Die Begutachtung erstreckt sich bei umfangreichen Fragestellungen des Gerichts in der Regel über mehrere Monate. Ein häufiger Zeitrahmen ist die Fertigstellung innerhalb von ca. 6 Monaten. Die betroffenen Elternteile werden vom Sachverständigen schriftlich über die notwendigen Termine informiert.

An der Begutachtung sind sozialpädagogische und psychologische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Praxisteam des Sachverständigen Ritter beteiligt. Diese Fachkräfte übernehmen einzelne Teile der Exploration, beispielsweise die Durchführung psychologischer Testverfahren oder Hausbesuche. Die Hinzuziehung von Fachkräften wird mit dem Familiengericht abgestimmt.